Rabenvögel

von Wolfgang Voigt

Seit 1988 führt der NABU Aachen-Land Rabenvogelzählungen im gesamten Broichbachtal durch. Die Zählungen sollen exemplarisch für das Kreisgebiet Aufschluss über die Bestandsentwicklung von Krähen, Elstern, Eichelhähern und Dohlen geben. Von besonderer Bedeutung ist dies seit der europaweiten Unterschutzstellung der Rabenvögel im Jahre 1976, welche in der Bundesrepublik erst seit dem 1.1.1987 umgesetzt wird. Ungeachtet dessen erteilt die Kreisverwaltung Aachen immer wieder Ausnahmegenehmigungen zum Abschuss von Rabenvögeln. So wurden zum Beispiel 1990 256 Rabenkrähen, 377 Elstern und 193 Eichelhäher geschossen.
Aufgrund der Rabenvogelzählungen unseres Verbandes ergibt sich folgender hochgerechneter Bestand im Kreisgebiet:

90 Brutpaare Elstern, 120 Brutpaare Rabenkrähen, 130 Brutpaare Eichelhäher. Selbst wenn diese Zahlen zu niedrig liegen sollten, ergibt sich das Faktum, dass die Abschusszahlen nur durch nicht an der Brut beteiligte Zugvögel zustande kommen können!

Wie reagieren wir, wenn in Belgien und Italien Zugvögel gefangen oder getötet werden? Wir sind empört!
Was geschieht, wenn im Kreis Aachen Wintergäste aus dem Norden und Osten rücksichtslos und gegen das Gesetz abgeschossen werden? Bisher nichts!
Im Gegenteil: Es werden weiterhin Abschussgenehmigungen durch die Kreisverwaltung erteilt. Dabei legt man offenbar ausschließlich Zählergebnisse der Jägerschaft zugrunde. Ein uns vorliegendes Ergebnis einer solchen Zählung datiert auf den 9.11.!1990. Dabei ist mit Sicherheit ein großer Anteil östlicher Wintergäste erfasst!!!
Wir stellen hier zum wiederholten Male fest: Ein Grund für das Erteilen von Ausnahmegenehmigungen besteht nicht.
In den letzten Jahren häufen sich die Telefonanrufe von Gartenbesitzern, welche sich über Nestplünderungen durch Elstern aufregen.
Was steckt dahinter?

Gut genährte Stadtamseln (Winterfütterung!) brüten oft bereits Ende März ohne die Deckung durch das Laub der Sträucher. Die Brut ist daher gut zu beobachten, auch für die Elstern, die sich aus Ermangelung geeigneter Brut- und Nahrungsbiotope in der ausgeräumten Feldflur zunehmend innerhalb menschlicher Siedlungen aufhalten. Eier und Jungtiere sind leichte Beute für fütternde Elstern, aber - statistisch gesehen - nur Beinahrung für die Elsternjungen. Niederländischen Nahrungsanalysen zufolge machen sie nur 7,6 Prozent der Gesamtnahrung aus (Haushaltsabfälle 34,5 %, Pflanzenmaterial 20,6 %, Insekten 17,8 %, Würmer, 10,1 %, Kleinsäuger 7,1 %, Fische 0,9 %, außerdem: Spinnen, Asseln, Schnecken und andere 1,4 %). (nach: SPAANS et al., Het Vogeljaar 30, 1982)

Auch hinsichtlich des Amselbestandes kann man den Gartenfreund beruhigen: In der Regel folgen noch zusätzlich mindestens 2 bis 3 Bruten im Jahr, oft wegen der Belaubung unbemerkt. So würden im Verlaufe von 10 Jahren aus einem Amselpaar etwa 150 Millionen Vögel entstehen, wenn nicht Wetter, Nahrungsmangel, Eichhörnchen, Katzen und eben auch Elstern den Bestand dezimieren würden.

Auszüge aus der NABU-Info “Schutz der Elster”, Bonn 1990 sollen diese Position abrunden:
“Durch ganzjähriges Nahrungsangebot in Form von Siedlungsabfällen und weitgehendes Fehlen natürlicher Feinde wie Habicht, Wanderfalke oder Baummarder haben die Elstern in den letzten Jahrzehnten erheblich verbesserte Lebensbedingungen in den Städten gefunden. Die Jagdruhe im Wohnbereich begünstigte ihr Einwandern bis in die Innenstadtbereiche. Dies und ihr geselliges Verhalten im Winterhalbjahr - besonders an den Schlafplätzen - lassen leicht den Eindruck einer Bestandszunahme aufkommen. Dennoch gibt es bei der Elster natürliche Regulationsmechanismen, die wie bei anderen Tierarten dafür sorgen, dass ihre Anzahl sich in einem Gebiet in bestimmten Grenzen hält. Bei Elstern beruht das unter anderem auf ihrer sehr aggressiven Revierverteidigung. So kommt es am Brutplatz bei Unterschreiten der Mindestabstände zwischen den Nestern zu ständigen Streitereien, die die Vögel vom Brutgeschäft abhalten. Bei hoher Bestandsdichte betätigen sich auch revierlose Vögel als Eier- und Jungvogelräuber bei ihren Artgenossen. ...
Langjährige Untersuchungen an Rabenkrähen bei Braunschweig haben gezeigt, dass deren Bestand, wenn sie nicht bejagt wurden, zwar jährlich schwankte, aber langjährig nicht zunahm. Dieses dynamische Gleichgewicht herrscht in allen bisher untersuchten Vogelgemeinschaften, in welche die Rabenvögel als Glieder der Gemeinschaft eingebunden sind. Wer meint, es könnten nur Eichelhäher, Elstern und Rabenkrähen übrigbleiben, nachdem alle anderen Vögel von ihnen vernichtet wurden, verkennt die Zusammenhänge total. Akute Bestandsrückgänge vieler Vogelarten und eine generelle Artenverarmung sind Folgen der Vernichtung natürlicher Nahrungsgrundlagen, fortgesetzten Landschaftsverbrauchs, Lebensraumzerstörung und naturferner Gestaltung menschlicher Siedlungsräume. ...
Elster, Eichelhäher und Rabenkrähe sind nicht bestandsgefährdet, sonst müssten sie auf die Roten Listen. Die Neuregelung der Bundesartenschutzverordnung räumt ihnen lediglich das gleiche Lebensrecht wie Buchfink, Lerche und Schwalbe ein. Vögel töten, um Vögel zu schützen, kann nicht das Rezept sein, um den allgemeinen Vogelbestand, die Vielfalt und den Artenreichtum haben zu können.”

Alsdorf, 1992 und 2002